"Investivlohn ist Abzocke"

Veröffentlicht am 14.12.2006 in Allgemein

OTZ-Redaktionsgespräch mit Bernhard Hecker, Gewerkschaftssekretär der IG Metall
Herr Hecker, die Konjunktur zieht an, die Auftragslage der Unternehmen ist gut, die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Können sich die Gewerkschaften entspannt

OTZ-Redaktionsgespräch mit Bernhard Hecker, Gewerkschaftssekretär der IG Metall
Herr Hecker, die Konjunktur zieht an, die Auftragslage der Unternehmen ist gut, die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Können sich die Gewerkschaften entspannt zurücklehnen?
Ganz im Gegenteil, jetzt wollen wir erreichen, dass unsere Kollegen von dem Kuchen auch ein dickes Stück abbekommen. Die IG Metall hat ja die Ehre, immer die neue Tarifrunde zu eröffnen. Im März geht es los, im Mai hoffen wir die ersten Abschlüsse unter Dach und Fach zu haben. Wir haben in den vergangenen Jahren zwar auch gute Abschlüsse hinbekommen, aber die konnten die Inflationsrate nicht ausgleichen.

Sind lineare Abschlüsse, die unterm Strich mehr Prozente bringen, noch zeitgemäß?

Die Alternative ist die Einmalzahlung und das ist Gleichmacherei, für die ich nicht bin. Leistungsgerechter sind lineare Abschlüsse mit Anhebung um einen bestimmten Prozentpunkt. Klar weiß ich, dass aus dem gewerblichen Bereich immer wieder die Forderung kommt, den so genannten Sesselsitzer nicht noch mehr zu geben. Aber ich weiß auch, dass Menschen, die geistig arbeiten, heute mehr arbeiten als früher und psychisch ausgelaugter sind als der Arbeiter an der Maschine. Die Arbeitgeber wollen hochwertige Arbeit auch anders bezahlt wissen.

Wie wird Arbeit in der Metall- und Elektroindustrie in der Region überhaupt bezahlt?

Der Tarif sieht 11,59 Euro Stundenlohn vor, das ist in Ost und West gleich. Es gibt einige Firmen, auch in der Region, die zahlen bis zu 18 Euro. Aber weh tun uns die Zeitarbeitsfirmen, die mit 5,80 Euro einsteigen, manche sogar nur bei 5,40 Euro.

Wie viele Betriebe zahlen nach Flächentarifvertrag?

Bei uns elf. 80 Prozent der Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten orientieren sich am Flächentarif, viele haben einen Firmentarifvertrag. Eine Katastrophe aber sind Handwerksbetriebe, die sich reihenweise aus den Verbänden, mit denen wir Tarifverträge verhandeln, verabschieden, damit sie billigste Löhne zahlen können. Aber das nahende Facharbeiterloch wird es richten.

In welcher Hinsicht?

Wer wenig zahlt, findet keine guten Leute mehr. Das Handwerk erwischt es als erste, die Leute nehmen die besser bezahlten Industriejobs.

Seit zwei Jahren müssen Zeitarbeitsfirmen Tarifverträge mit Gewerkschaften vorweisen, da können Gewerkschaften doch Einfluss auf Tarife nehmen.

Macht der DGB auch, aber es gibt noch andere Gewerkschaften. Die Christliche Gewerkschaft Metall beispielsweise setzt ganz niedrige Löhne an und dann kann es passieren, dass ein Arbeiter am Band 13 Euro verdient, der andere bei gleicher Tätigkeit nur 5,60, weil er entsendet wurde. Wo das christlich ist, weiß ich nicht.

Wie kann es geändert werden?

Indem wir als DGB als Verhandlungspartner den Fuß in die Tür kriegen und der betroffene Arbeiter seinen Lohn einklagt. Denn laut Gleichstellungsgesetz ist unterschiedliche Entlohnung bei gleicher Arbeit unsittlich.

Eine Klage erfordert Mut, und wer will schon seinen Arbeitsplatz verlieren.

Ist richtig und wir sind froh, wenn Leute Arbeit haben. Aber die Bezahlung muss stimmen.

Die Gewerkschaft gewährt Rechtsschutz. Wie viele Mitglieder hat die IG Metall noch in der Region?

Ungefähr 9000. In manchen Betrieben sind 30 Prozent der Belegschaft in der Gewerkschaft, in anderen über 80 Prozent. Damit liegen wir im Vergleich zu den Altbundesländern im gesunden Bereich. Die Fluktuation im betrieblichen Bereich ist nicht mehr so groß wie nach der Wende. Überdurchschnittliche Zugänge verzeichnen wir vor allem bei jungen Leuten.

Kanzlerin Merkel wirft das Thema Investivlöhne in die Runde. Wie stehen Sie dazu?

Das halte ich für schizophren. Es kommt Abzocke gleich, wenn erwirtschafteter Gewinn wieder in den Betrieb fließt. Die Verzichtmentalität der Arbeitnehmer wird noch größer. Welcher Betrieb legt seine Karten schon offen auf den Tisch? Außerdem würde für uns die Streikmobilisierung schwieriger werden.

Muss es für die Gewerkschaften denn immer Streik geben?

Ja, es ist ein legitimes Mittel, um Forderungen durchzusetzen. Wenn eine Belegschaft einer Meinung ist, kann man viel erreichen, denn kein Arbeitgeber will Konfrontation zur Belegschaft.

Aber so groß ist die Streikbereitschaft hier im Osten aus bekannten Gründen ja nicht.

Das hat viel mit Solidaritätsverlust in der Gesellschaft zu tun. Solidarisch sein heißt auch, um seine Rechte kämpfen und dazu eine gemeinsame Meinung zu bilden. Aber dazu muss man lernen, politisch zu denken. Und da ist noch zu viel Desinteresse zu spüren.

Manche Gewerkschafter denken, wenn Sie Politik machen, wenig an ihre Mitglieder. Was läuft falsch, wenn sie für Rente mit 67 und Lockerung des Kündigungsschutzes stimmen?

Leider ist die Meinungsbildung in den Gewerkschaften nicht konsequent. Gewerkschafter sein und Parteipolitik machen wollen kommt für mich einer Schere im Kopf gleich.

Sie sind in keiner Partei. Gibt?s Sympathien zu einer?

Der Schritt in die SPD ist mir immer verleidet worden, mit der PDS bin ich noch nicht so weit. Als Gewerkschafter muss ich politisch arbeiten, aber nicht parteipolitisch.

Was reitet einen Gewerkschafter, sich jeden Montag auf den Saalfelder Markt zu stellen und vor oft nur 20 Leuten zu reden?

So lang wie das Bündnis hat noch keine lokale Bewegung der Gewerkschaft durchgehalten. Es ist von der Basis gewollt, warum sollte ich es abwürgen? Es sind nicht alle Gewerkschafter, aber die Leute engagieren sich. Ob das irgendwann Erfolg bringt, muss die Zeit zeigen. Es ist immer die Absicht dahinter, Menschen für bestimmte Interessen zu gewinnen.

Muss das immer so sein?

Ja, denn die Gesellschaft fordert das. Man muss sich bekennen, öffentlich zeigen, nur so wird man wahrgenommen. Als Bündnis haben wir inzwischen Gewicht. Ich würde die Bündnisaktionen gern vor ein paar Betrieben ausdehnen, aber solche Bewegung muss von innen kommen.Notiert von Ute HäfnerZur PersonBernhard Hecker (57), geboren in Saalfeld, aufgewachsen in Kamsdorf, lernte Installateur in der Maxhütte und arbeitete viele Jahre bei Zeiss in Jena und Saalfeld. Er war schon immer in der Kirche engagiert, machte als junger Mann Musik und zeichnete sich in der Zeit durch schulterlange Haare aus. Eine versuchte Republikflucht scheiterte, dadurch war Hecker politisch vorbestraft. Er wurde 1991 rehabilitiert. Nach der Haft war er in der Energieabteilung der Maxhütte tätig. Betriebsratsvorsitzender wurde er dort im Zuge der Wende. "Was ein Betriebsrat macht, wusste ich anfangs nicht." Er war Mitglied im FDGB und der DSF, "um den Kollegen nicht die Prämie zu versauen". Seit 1992 ist er Sekretär in der Verwaltungsstelle der IG Metall Jena-Saalfeld. Hecker ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und zwei Enkel. In sechs Monaten geht er in die Ruhephase der Altersteilzeit

 

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